Freitag 17. Juli 2020

Kardinal König: Bilanz des Konzils


Vortrag von Kardinal Franz König im Rahmen einer Veranstaltung des Katholischen Bildungswerkes im Auditorium Maximum der Universität Wien am 17. Jänner 1966

 


  » Vortrag "Bilanz des Konzils" als pdf herunterladen

 

 

 


 

 

Dass Konzilien nicht nur kirchengeschichtliche Ereignisse sind, sondern auch weit in die Profangeschichte eingreifen, kam mir am 7. Dezember des vorigen Jahres bei der letzten öffentlichen Sitzung des II. Vatikanischen Konzils eindrucksvoll zu Bewusstsein, als nach dem konzelebrierten Gottesdienst des Heiligen Vaters in französischer und lateinischer Sprache den Konzilsvätern und der dichtbesetzten Basilika von St. Peter verkündet wurde, dass die Bannbulle von Konstantinopel auf Grund einer gleichlautenden Erklärung Konstantinopels als aufgehoben zu betrachten ist, jene Bulle, die im Jahre 1054 das Schisma zwischen der orthodoxen und der lateinischen Kirche für 900 Jahre sanktionierte.

 

Mir schien, dass noch nie ein Applaus so spontan und brausend sich erhob in der großen Konzilsaula als in jenem historischen Augenblick, da der Vertreter des Patriarchen von Konstantinopel zum Heiligen Vater hinaufstieg und ihn umarmte. Ein junger Historiker, der einem bekannten Institut in Rom vorsteht, erzählte mir später, dass ihm damals die Tränen in den Augen standen, weil ihn die Größe der Stunde überwältigt hatte. Jener historische Akt, der auf 900 Jahre Geschichte zurückreicht, hat die Weiche für die Zukunft neu gestellt. Es war ein historisches Ereignis von großer Tragweite, das weit über den kirchlichen Raum hinausragt.

 

Wenn ich jetzt im Begriffe stehe, Ihnen einen Bericht über die Ergebnisse des II. Vatikanischen Konzils zu geben, so bin ich mir wohl bewusst, dass es nicht leicht ist, über Vorgänge zu sprechen, zu denen man noch keine Distanz hat, die man selber unmittelbar und mit innigster Anteilnahme miterlebt hat. Ich bin mir auch bewusst, dass das eben beendete Konzil in seinen Auswirkungen noch nicht endgültig bestimmbar ist, weil die Fülle der Ereignisse noch nicht ganz überschaubar, die davon ausgehenden geschichtlichen Kräfte noch nicht ganz erkennbar und in der postkonziliaren Phase weitere Formung erfahren werden. Ich glaube aber, dass eine vorläufige Rohbilanz zu ermitteln ist und dass das Ergebnis des Konzils in großen Umrissen heute bereits feststeht. - Ich bitte Sie außerdem dafür Verständnis zu haben, dass ich im Rahmen eines Vortrages keine allseitige Bilanz erstellen, sondern nur einige mir wichtig scheinende Ergebnisse herausgreifen kann.

 

Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass keines der bisherigen 20 Konzilien eine so große Zahl von Bischöfen versammelte und dass keines ein so internationales Gepräge hatte wie die soeben beendete allgemeine Kirchenversammlung, die vor sieben Jahren, das heißt, am 25. Jänner 1959, von Papst Johannes angekündigt, von 10 Kommissionen und 2 Sekretariaten vorbereitet, am 11. Oktober 1962 seinen Anfang nahm und nach vier, mehrere Monate dauernden Sitzungsperioden, am 8. Dezember vorigen Jahres zu Ende ging.

 

Wie sehr sich dieses Konzil auch äußerlich von den früheren unterschied, sei durch einen kurzen Vergleich mit dem I. Vatikanum und einigen statistischen Hinweisen verdeutlicht:

 

Auf dem Konzil von Nicäa, der ersten allgemeinen Kirchenversammlung in der Geschichte der katholischen Kirche, das im Jahre 325 stattfand, sind nach verlässlichen geschichtlichen Berichten rund 300 Konzilsväter versammelt gewesen. Auf dem I. Vatikanischen Konzil vor rund 100 Jahren waren es 769 Konzilsväter. Zum II. Vatikanum wurden 2850 Teilnehmer geladen: das heißt, die Zahl der Konzilsväter hat sich in den letzten 100 Jahren fast vervierfacht. Von den 2850 geladenen Konzilsvätern sind bei Konzilsbeginn vor vier Jahren nur 93 keine Bischöfe gewesen, also eine ganz kleine Zahl.

 

Auf dem I. Vatikanum kamen 448 Bischöfe aus Europa, das waren damals 70% der Gesamtzahl. Diesmal waren aus Europa 1175 Konzilsväter, das heißt, nur 40% der Konzilsväter kamen aus unserem Kontinent. Mit anderen Worten: Die Zahl der Konzilsväter aus Europa hat sich gegenüber dem I. Vatikanum verdoppelt. Der prozentuelle Anteil aber ist von 70% auf 40% gesunken. Aus Nord- und Südamerika kamen zum I. Vatikanum 111 Bischöfe, das waren damals 15% aller Konzilsväter. Diesmal aber stammten aus Nord- und Südamerika 956, das sind 39% der Gesamtzahl.

 

Das heißt wiederum mit anderen Worten: Obwohl sich beim II. Vatikanum die Zahl der nord- und südamerikanischen Bischöfe verneunfacht hat, ist der prozentuelle Anteil am ganzen Konzil nur doppelt so groß wie beim ersten. Die Erklärung hierfür ergibt sich aus folgenden weiteren Zahlen: Aus Afrika kamen zum I. Vatikanum nur 14 Bischöfe, das waren damals 2%. Diesmal waren aus Afrika 279 Teilnehmer oder 10% gekommen. Kein einziger Bischof war beim I. Vatikanum Eingeborener, diesmal nahmen rund 135 eingeborene Bischöfe aus Afrika teil. In ähnlicher Weise ist die Zahl der Bischöfe aus Asien angestiegen, die bei diesem Konzil gegenüber dem I. Vatikanum von 83 auf 384 emporschnellte.

 

1. Nach dieser einleitenden Charakterisierung stelle ich meine erste Frage: Welche Gesamtbeurteilung hat das II. Vatikanum außerhalb der katholischen Kirche gefunden? In aller Kürze verweise ich auf einige Urteile von nichtkatholischen Konzilsbeobachtern, die gewiss einen strengen und kritischen Maßstab anlegten. Aus den zahlreichen Äußerungen, die sowohl in der europäischen wie in der amerikanischen Presse nach Konzilsschluss zu finden waren, geht hervor, dass die Erwartungen vieler übertroffen wurden - ich möchte gleich hinzufügen, auch die Erwartungen vieler Katholiken. So meinte z. B. ein lutherischer Beobachter, der bei aller vorsichtigen Beurteilung bei Konzilsschluss die Feststellung machte, "dass die römisch-katholische Kirche durch das Konzil eine Erneuerungskraft und einen Erneuerungswillen bewiesen habe, die alle Erwartungen übertrafen." - Oscar Cullmann, Professor für Neues Testament in Basel und Paris, protestantischer Beobachter bei allen Sitzungsperioden, meinte in der abschließenden Zusammenfassung seines Vortrages, den er kurz vor Schluss des Konzils noch in Rom hielt: "Zum Schluss auf das Konzil rückschauend, kann ich sagen, dass aufs Ganze gesehen die Erwartungen, soweit es nicht Illusionen waren, und abgesehen von einzelnen Fällen, erfüllt und in vielem sogar übertroffen sind."

 

Der Beobachterdelegierte des ökumenischen Rates der Kirchen, Dr. Lukas Vischer, meinte auf einer Tagung des Zentralausschusses dieses Rates in Rochester 1963, noch über die erste Sitzungsperiode referierend, dass angesichts der "Neuorientierung und Neubesinnung" die Vorgänge auf dem Konzil mit einem Dammbruch zu vergleichen seien. Wenn das orthodoxe Organ des Patriarchen von Konstantinopel "Apostolos Andreas" laufend positiv über das Konzil berichtete, wenn die offizielle Zeitschrift des orthodoxen Griechenlands "Ecclesia" in Bezug auf das Konzil schon vor längerer Zeit meinte "durch das Konzil habe die katholische Kirche gezeigt, dass sie verschieden ist von dem, wie wir sie bis jetzt gekannt haben" - und wenn das offizielle Organ des Patriarchen von Moskau "Journal Moskovskiij Patriarchij" ebenfalls, soweit mir bekannt, die positiven Ergebnisse des Konzils ausschließlich in den Vordergrund stellte - so dürfen wir darin eine positive Beurteilung des Gesamtergebnisses sehen, wie sie zu Beginn niemand erwartete. Ein solches Konzilsecho außerhalb der katholischen Kirche ist umso überraschender, weil zu Beginn ein Misstrauen verbreitet war und ein Zweifel in der nichtkatholischen Welt bestand, ob sich an der sogenannten starren Haltung der katholischen Kirche etwas ändern könne, ob es auf dieser Kirchenversammlung überhaupt eine freie Meinungsäußerung geben könne.

 

Rückschauend müssen wir heute die Frage stellen, wieso es kommt, dass das Konzil ein so großes, unerwartetes Echo gerade außerhalb der katholischen Kirche gefunden hat. Ich möchte ganz kurz wiederum darauf antworten:

 

1. Wohl deswegen, weil die religiösen Fragen wider Erwarten doch die Welt bewegen.

2. Weil die sichtbare Einheit der Christen ernst genommen und die damit verbundenen Fragen breit aufgerollt wurden.

3. Weil die Gestalt des Papstes Johannes, der das Konzil einberufen und in der 1. Sitzungsperiode mit größtem Interesse miterlebt hat, als welt- und lebensnah von der ganzen Welt empfunden wurde. Die Teilnahme der Welt an seinem Sterben musste auch dem größten Skeptiker ans Herz greifen; weil Papst Paul VI. diese Linie fortgesetzt hat.

4. Weil die katholische Kirche sich ganz anders gezeigt hat, als man sie sich durchschnittlich vorstellte.

5. Weil die Internationalität der Kirche so stark in Erscheinung trat; und vielleicht noch ein letzter Grund: weil der Optimismus und die Weltaufgeschlossenheit der großen Kirchenversammlung als ein Zeichen der Hoffnung in der eins werdenden Welt empfunden wurde.

 

2. Damit komme ich zu meinem zweiten Bilanzpunkt. Ein mitbestimmender Faktor des Konzilsgeschehens war die öffentliche Meinung. Es besteht kein Zweifel: Das II. Vatikanum hat ein solches Weltecho gehabt, hat die öffentliche Meinung fast der ganzen Welt in einem Ausmaß beschäftigt, wie es vor vier Jahren niemand erwartet hatte.

Die Rolle, welche die öffentliche Meinung dabei spielte, ist für das Konzil von sehr großer Bedeutung gewesen - trotz aller Entgleisungen, die es natürlich auch gegeben hat.

 

a) Wir können sagen, dass an Stelle der Könige und Fürsten, die etwa auf dem Konzil zu Konstanz als Berichterstatter tätig waren, heute die öffentliche Meinung getreten ist. Die Rolle der Gesandten und Botschafter spielen heute die Journalisten. Die Nachrichten, die in Sekundenschnelle die ganze Welt umkreisen, ersetzen die früheren Geheimberichte. Die Kirche hat vielleicht aus verschiedenen Gründen die Bedeutung der öffentlichen Meinung nicht immer richtig eingeschätzt. Die Tatsache, dass der Versuch, ein absolutes Konzilsgeheimnis zu wahren, zu Konzilsbeginn rasch aufgegeben wurde, war von großer Tragweite. Man hatte erkannt, dass jedes Bemühen solcher Art nur die Konzilsatmosphäre vergiften könnte, weil dann anstelle von Nachrichten nur Gerüchte und Kombinationen in Umlauf gesetzt würden. Der gute Rat, den der Historiograph des I. Vatikanischen Konzils, der Engländer Butler, einem künftigen Konzil gegeben hatte, die Journalisten als Berichterstatter zu den Konzilsverhandlungen zuzulassen, ist also befolgt worden.

 

Gerade durch die Öffentlichkeit der Konzilsverhandlungen, dadurch, dass die Welt gesehen und gehört hat, was auf dem Konzil gesprochen wurde, ist der Welt ein Beispiel gegeben worden für die Freiheit geistigen Ringens, für das Ernstnehmen geistiger Entscheidungen in einer Zeit, die so ausschließlich von machtpolitischen Interessen und vom Materiellen geprägt erscheint. Die Welt hat dieses Beispiel begriffen.

 

Die öffentliche Meinung ist diesem Konzil seit Anfang, ja seit seiner Ankündigung schon positiv gegenübergestanden. Sie hat dem Konzil eine Publizität verschafft, welche die Erwartungen weit übertraf. Natürlich bezog sich diese Publizität nicht immer auf die Grundanliegen des Konzils. Sehr oft war sie auf die Randerscheinungen fixiert, und Nebensächliches wurde überbewertet. Jedenfalls hat das alles dahin gewirkt, dass dieses Ereignis durch vier Jahre weitgehend im Vordergrund des Weltinteresses stand. Durch die öffentliche Meinung haben aber auch die Welt und die geistigen Mächte der Welt auf das Konzil gewirkt und umgekehrt ein Konfrontierung des Konzils mit diesen Mächten ermöglicht.

 

Die öffentliche Meinung hat in verschiedener Weise auf das Konzil selber zurückgewirkt. Das Konzil sah sich in seinen Beratungen immer mit dem Weltecho konfrontiert und hat dieses Echo als eine legitime Äußerung der Welt - deren Fragen dieses Konzil ja zum Teil beantworten wollte - in seine Entscheidungen mit hineingenommen. Manche dieser Entscheidungen wären vielleicht nicht genauso ausgefallen, wenn man das Echo der öffentlichen Meinung unberücksichtigt gelassen hätte. Das heißt aber wiederum nicht, dass das Konzil sich der öffentlichen Meinung gebeugt hat. Das Konzil hat manche Probleme, angesichts derer die öffentliche Meinung auf eine rasche Entscheidung drängte - z. B. in der Ehe- und Geburtenfrage - nicht entschieden, weil es die Angelegenheit noch nicht für entscheidungsreif gehalten hat. Das Konzil hat sich auch standhaft gezeigt gegenüber manchem Versuch einer Grenzüberschreitung der öffentlichen Meinung, gegenüber dem einen oder anderen Pressions- oder Lenkungsversuch.

 

b) Die innerkatholische öffentliche Meinung


Das Verhältnis von Kirche und öffentlicher Meinung wird stets mitbestimmt sein vom Vorhandensein bzw. vom Ausmaß einer innerkirchlichen öffentlichen Meinung. Nur dann, wenn das innerkirchliche Gespräch geübt wird, wird auch das Gespräch zwischen Kirche und Welt fruchtbar sein. Pius XII. bezeichnete bereits 1950 das Fehlen einer öffentlichen Meinung in der Kirche als Fehler, Schwäche und Krankheit, wofür die Schuld bei den Hirten wie bei den Gläubigen zu suchen sei (Ansprache an den Internationalen katholischen Pressekongress, 17. Februar 1950, AAS 1950, 251-257).

 

Wenn durch das Gespräch zwischen Kirche und katholischer Publizistik Missverständnisse ausgeschaltet, Vorurteile abgebaut und Schranken niedergelegt werden, wenn es eine freie innerkatholische Meinung gibt - ohne Ängstlichkeit auf Seiten der Kirche, aber auch ohne Überheblichkeit auf Seite der Journalisten, dann wird immer auch ein positives Verhältnis zwischen Kirche und öffentlicher Meinung gegeben sein. Denn der katholische Journalist vereinigt in besonderem Maße Kirche und Welt in sich. Er will der Welt die Kirche begreiflich machen und der Kirche die Welt. Das Verhältnis zwischen Kirche und öffentlicher Meinung, wenn es eine echte Beziehung sein soll, wird immer ein Spannungsverhältnis sein, das heißt es gibt keine endgültige Lösung, das Problem muss immer wieder neu gesehen, neu gestellt und neu zu lösen versucht werden. Auch die innerkatholische öffentliche Meinung wird immer ein Spannungsverhältnis bleiben, um das immer neu gerungen wird.

 

3. Damit kam eine Bewegung zum Ausdruck, die man als Entwicklung vom Klassizismus zum geschichtlichen Bewusstsein bezeichnen kann. Nach der Auffassung vom Klassizismus ist z. B. die Wahrheit gegeben und vorhanden, ganz unabhängig davon, ob sie jemand besitzt oder nicht. Diese objektive, in sich bestehende Ordnung der Wahrheit wird von der Geschichte und ihrer Entwicklung nicht berührt. Das historische Bewusstsein hingegen konzentriert sich, ohne die Objektivität der Wahrheit zu leugnen, auf den Besitz der Wahrheit, das heißt auf die Art und Weise, wie der Mensch die Wahrheit begreift, in ihren Besitz gelangt, welche Voraussetzungen und Umstände für das erkennende Subjekt eine Rolle spielen, wie ein tieferes Eindringen und ein Fortschritt der Erkenntnis möglich ist. Diese neue Einsicht in die Geschichtlichkeit der Wahrheit und in die Rolle des erkennenden Subjektes führte im 19. und 20. Jahrhundert zu einem Zusammenstoß mit der Kirche. Ein Überspitzung der neu gewonnenen Einsicht in die Geschichtlichkeit der Wahrheit war zur Bekämpfung des objektiven und absoluten Charakters der Wahrheit, ihrer Objektivität missbraucht worden. Dies wurde daher von Pius X. in der Enzyklika "Pascendi" als "Modernismus" scharf verurteilt.

 

Was damals kirchlicherseits nicht gelang, das heißt, dass man den Modernismus von berechtigten Anliegen des historischen Bewusstseins abhob, scheint das II. Vatikanum in Angriff genommen zu haben. Das Konzil hat sich pastoral ausgerichtet und dabei wurde dies von manchen missverstanden, als ob es dem Konzil nicht um die Wahrheit und um die Lehre ginge, sondern um eine praktische Anleitung für das Leben. Man fürchtete damit eine Kluft zwischen Pastoral und Dogma. In der Tat aber ist der pastorale Gesichtspunkt des Konzils nichts anderes als eine Anwendung der kirchlichen Lehre, das heißt es kommt hier ein Anliegen des historischen Bewusstseins zum Vorschein, dass es nämlich nicht genügt, einfach die Lehrsätze zu wiederholen, sie noch schärfer zu formulieren, sondern, dass der Besitz und die Erfassung der Wahrheit durch das Leben entscheidend ist.

 

Mit anderen Worten: es geht um das Subjekt, für das die Wahrheit da ist. Damit ist eine Hinwendung zum historischen Moment, in dem das nach Wahrheit strebende Subjekt sich befindet und die Möglichkeit des tieferen Eindringens in dieselbe gemeint. Damit ist das theologische Anliegen des 20. Jahrhunderts zu einem pastoralen Anliegen der heutigen Kirche geworden. In diesem Sinne ist z. B. auch die Erklärung über die Religionsfreiheit ein pastoraler Schritt innerhalb der Lehrentwicklung und gleichzeitig ein Fortschritt in der Richtung der alten Theorie von der bürgerlichen Intoleranz, die durch die neue Lehre von der religiösen Freiheit abgelöst wird.

 

4. Damit komme ich zu einem neuen Bilanzaspekt, ich nenne ihn: den Durchbruch aus der Isolierung.


Damit sind wir bei einem der wesentlichsten Konzilsergebnisse angelangt. Ich meine eine dreifache Isolierung, die daher in dreifacher Form durchbrochen wurde. Da ist 1. die Isolierung vom Volk. Sie wurde durchbrochen durch die neue Liturgiereform. Gerade im Gottesdienst soll das Volk Gottes nicht in heiliger Scheu einer vielfach unverstandenen Handlung gegenüberstehen, getrennt durch die Mauer einer Kultsprache, die dem Volke unverständlich bleiben musste. Die Gemeinsamkeit der Verkündigung, des Opfers und des Mahles bedarf einer gemeinsamen, einer allgemein verständlichen Sprache.

 

Gewiss gehört das Geheimnis zum Bereich des Religiösen, und das Geheimnis der Eucharistie z.B. wird durch keine Liturgiereform, durch keine Volkssprache sich auflösen lassen. Aber das Geheimnis der Eucharistie werden wir in seiner menschlichen Unbegreiflichkeit umso klarer sehen, wenn wir das Begreifliche und Verständliche im Gottesdienst auch begreiflich und verständlich machen. Hier geht es zuerst um das Wort Gottes. Soweit der Wortgottesdienst Verkündigung ist, soweit muss das, was verkündet wird, in der Sprache gesprochen werden, die von jenen verstanden wird, denen die Botschaft, die Verkündigung übermittelt werden soll. Die Barriere der Sprache und die Form der Anteilnahme sollte daher durchbrochen werden. Ein solcher Durchbruch ist nicht Sache eines Augenblicks und er geschieht auch nicht ohne Widerstand. Die Liturgiereform ist noch nicht zu Ende, aber das Ziel ist klar.

 

Es geht nicht um eine Übernahme protestantischer Formen, sondern das katholische, das allumfassende Ziel soll nicht durch eine allen mehr oder weniger verständliche Kultsprache erreicht werden, sondern dadurch, dass das Volk Gottes in seiner sprachlichen und kulturellen Ausprägung eine alle umfassende Einheit, eine katholische Einheit um den Altar bildet.

 

Die zweite Form des Durchbruches einer katholischen Isolierung ist der Durchstoß der isolierenden Mauer von den getrennten Christen. Auch hier spielen viele Faktoren mit. Einerseits ist es der gemeinsame Feind, der als religiöser Indifferentismus oder in den verschiedenen Aspekten des Atheismus das Christentum insgesamt bedroht.

 

Andererseits waren die sich befehdenden christlichen Kirchen in den Missionsländern zu einem Hindernis und Ärgernis für alle geworden. Die immer mehr eins werdende Welt, in der die Christenheit immer mehr zu einer Minderheit wird, ließ das Anachronistische der Trennung deutlich werden. Die Kirche hat auf dem Konzil versucht, die Isolierung von den getrennten Christen durch die Schaffung und die Arbeit des "Sekretariates zur Förderung der Einheit der Christen", durch das sogenannte Sekretariat des Kardinal Bea, zu überwinden. Im Schema über den Ökumenismus wurden die theologischen Grundlagen für die Annäherung der Christen geschaffen. Auch der Durchbruch durch diese Isolierung ist nicht eine bloße Angelegenheit des guten Willens oder der augenblicklichen Eingebung. Auch hier gibt es Schwierigkeiten, die nicht auf bösem Willen beruhen und die man daher auch nicht bloß mit gutem Willen zu überwinden vermag. Es geht auch darum, vermeidbare Missverständnisse aufzuklären, unnötige Mauern abzubrechen, überflüssige Gräben zuzuschütten.

 

Im Konzilsdekret über die katholischen Ostkirchen, verabschiedet im November 1964, ist durch die Anerkennung der alten Rechte und Privilegien der Patriarchen, durch die Betonung, dass die Vielfalt der Einheit der Kirche nicht schadet, die Annäherung zur orthodoxen Kirche im Bereich der Sakramente - eine Voraussetzung geschaffen worden für eine weitere Annäherung der orthodoxen und der katholischen Kirche. Was am 7. Dezember in St. Peter geschah, war auch damit vorbereitet worden. Das Trennende wird so gegenüber dem Gemeinsamen kleiner, viel kleiner werden. Aber es wird immer noch da sein. Wann und wie die letzte Trennung überwunden werden kann, steht allein bei Gott.

 

Drittens galt es, die Isolierung der Kirche von der Welt zu durchbrechen. Die Pastoralkonstitution über die "Kirche in der modernen Welt" gibt davon Zeugnis. Dieses war vielleicht das schwierigste, aber auch das wichtigste Unterfangen. Einer Welt, die immer in Bewegung war, stand eine Kirche gegenüber, die sich selbst als Fels in der Brandung der Zeit empfand. Sie betrachtete sich als unüberwindliche Festung, als Haus auf dem Felsen gebaut, das allen Angriffen siegreich widersteht. Die Welt aber war bereits weitergezogen, die Besatzung der Festung hatte sozusagen - überspitzt formuliert - keine Feindberührung mehr und damit auch keine Berührung mehr mit der Welt.

 

Die Welt braucht die Kirche, aber auch die Kirche braucht die Welt. Denn sie ist ja dazu gestiftet worden, einer unheilen Welt das Heil zu zeigen und zu bringen. Für die Menschen der Welt ist sie da, zu ihnen hat sie Gott gesandt. Und die Welt wieder weiß, dass sie ersticken müsste, wäre sie in sich geschlossen. Sie weiß aus den negativen Erfahrungen, dass auch sie die Öffnung nach oben braucht. Diese Öffnung nach oben kann ihr nur die Kirche zeigen.

 

Eine Verbindung von Kirche und Welt, von beiden als notwendig erkannt, konnte nur auf der Basis der Urform menschlicher Kommunikation, auf der Basis des Gespräches erfolgen. Nicht im Monolog, nicht im Selbstgespräch, sondern im Dialog, im brüderlichen Gespräch zwischen Kirche und Welt konnten die Mauern der Isolierung durchbrochen werden. Papst Johannes hat das Gespräch mit der Welt begonnen. Wie sehr die Welt auf dieses Gespräch gewartet hat, ist aus dem geradezu enthusiastischen Echo zu sehen, mit der die Welt die Erscheinung des Papstes Johannes begrüßt hat. Papst Paul hat dieses Gespräch in ein System gebracht. In seiner Enzyklika "Ecclesiam suam" hat er die drei Kreise des Dialogs abgesteckt: Den Dialog mit den getrennten Christen, den Dialog mit den nichtchristlichen Religionen und schließlich den Dialog mit den Nichtgläubigen. Für jeden dieser drei Gesprächskreise errichtete er ein eigenes Sekretariat.

 

Die Kirche - so ist das zu verstehen - schließt sich nicht mehr selbstgenügsam und selbstgerecht ab, wie man ihr vorgeworfen hat, sie will mit den anderen reden, mit den getrennten Christen, mit den gläubigen Nichtchristen, aber auch mit jenen, die nicht glauben, die den Glauben ablehnen, ja ihn vielleicht sogar bekämpfen. Der Katholik, so ist das weiter zu verstehen, ist nicht bloß ein Antiprotestant, ein Antimohammedaner, ein Antibuddhist, er ist aber auch nicht bloß ein Anti-Atheist. Aus den Positionen des Kampfes, des Gegensatzes, der feindlichen, rein negativen Haltung ist die Kirche in die Position des Gesprächspartners getreten, der Fragen stellt, der verstehen und helfen will. Die Welt ist für die Kirche nicht etwas Feindliches, von dem man sich isolieren, von dem man sich bewahren, das man notfalls bekämpfen soll. Die Welt, das hat die Kirche erkannt, ist etwas Eigenständiges, vor dem die Kirche nicht fliehen, das sie auch nicht überwältigen, sondern bewältigen soll mit Verständnis, mit Einfühlung, mit Hilfs- und Dienstbereitschaft.

 

Gott hat die Welt für die Menschen geschaffen. Der Glaube ist nicht, wie die Atheisten meinen, ein Hindernis für die Menschen, sich diese Welt untertan zu machen, die Natur und ihre Kräfte zu beherrschen. Der Atheismus ist eine Erscheinung dieser Welt. Den Atheismus als geistige Erscheinungsform dieser Welt kennenzulernen, ihn in seinen Aussagen ernst zu nehmen, seinen Wurzeln und Ursachen nachzuspüren, das ist die Aufgabe des mir übertragenen Sekretariates. Dass dieser Atheismus in einem Teil der Welt mit der Staatsideologie verbunden ist, darf uns nicht zu der Annahme verleiten, als ob es den Atheismus überhaupt nur im kommunistischen Bereich gäbe.

 

Atheismus gibt es überall. Der Atheismus bei uns ist vielleicht der gefährlichere. Dort, wo der Atheismus offen kämpft, kann ich ihm offen widerstehen. Ich weiß, dass dies nicht immer leicht ist. Aber es ist sicherlich leichter als dort, wo der Atheismus nicht kämpferisch auftritt, sondern als eine Art selbstverständliche Begleiterscheinung des modernen Lebens, des Wohlstandes, der Sattheit und der Denkfaulheit auftritt. Der Atheismus der Atheisten ist nach meiner Meinung sogar weniger gefährlich als der Atheismus jener, die sich noch Christen nennen, in denen aber der Glaube hoffnungslos erstorben ist.

 

Im sogenannten Schema XIII hat der Versuch, die Isolierung der Kirche von der Welt aufzuheben, den deutlichsten Niederschlag gefunden. Dieses Konzilsdokument ist insofern bezeichnend für dieses Konzil, als es bewusst von endgültigen Aussagen absieht, die über die Welt und Zeit von heute hinausgehen. Diese gewollte Beschränkung auf die Gegenwart liegt nicht nur in der Einstellung des Konzils, welches es weitgehend vermieden hat, von jenen Dingen, die noch im Fluss der Diskussion stehen, Endgültiges und Letztgültiges auszusagen, soweit es sich um die veränderlichen Dinge der Welt und nicht um die unveränderliche Glaubenslehre handelt.

 

Das Konzilsdokument über die Kirche in der Welt nimmt auch die Evolution der Welt zur Kenntnis. Das ist die Erkenntnis, dass die Welt in einem Entwicklungsprozess steht und mit ihr auch die Kirche als menschliche Gemeinschaft, dass aber diese Entwicklung ihr letztes Ziel in Christus hat. Deswegen hat die Kirche im Konzil zur Zeit gesprochen und nicht in der Form des Richters, sondern in der Form der "Mater et Magistra", der Mutter und Lehrerin, einer Kirche, die verstehend helfen will, einer Lehrerin, die sich dieser Welt schwesterlich verbunden weiß.

 

5. Ein neues Kirchenbewusstsein


Der Dialog, der Durchbruch durch die Isolierung, die Anerkennung der öffentlichen Meinung, die Aussage zu Problemen der Gegenwart, sind die Früchte eines neuen Kirchenbewusstseins. Die dogmatische Konstitution über die Kirche, verabschiedet im November 1964, ist nicht nur eines der bedeutendsten Konzilsdokumente, sondern auch ein Zeugnis des Ringens der Kirche um ihr eigenes Selbstverständnis. Die Kirche hat auf diesem Konzil über sich selbst reflektiert, aber immer mit dem Blick über sich selber hinaus. Im Schema über die Kirche hat die Reflexion der Kirche über sich, hat das Gespräch der Kirche mit sich selbst ihren Niederschlag gefunden. Sie hat sich in ihren Gliedern und in ihren Funktionen neu gesehen: Die Kirche als gesellschaftlich-geschichtliche Erscheinung und als göttliche Institution; die Kirche, die einerseits nicht von dieser Welt und doch in dieser Welt ist, die einerseits Frucht des Heiles, andererseits Weg zum Heil, die einerseits als Leib Christi in ihrer Identität mit Christus als ihrem Haupte zu sehen ist und die als pilgerndes Volk Gottes Christus gegenübersteht.

 

Das Konzil wollte "das Wesen und die universale Sendung der Kirche den Gläubigen und aller Welt klar deuten", wie es in der Einleitung zum Konzilsdokument über die Kirche heißt. Allen Spannungen gegenüber betont die Konstitution die innere Einheit der Kirche, in der es "keine Ungleichheit auf Grund der Rasse oder der Volkszugehörigkeit, der sozialen Stellung oder des Geschlechtes" (Konstitution über die Kirche, Kap. 4, Nr. 32) gibt.

 

Die Kirche lebt in dieser Welt. Sie steht nicht an der Peripherie der Welt. Auch führt sie nicht nur einen Dialog mit der Welt, denn einen Dialog könnte man abbrechen und weggehen. Sie ist vielmehr in der Mitte der Welt gegenwärtig, als "Sauerteig" (Mt 13,33), als "Salz der Erde" (Mt 5,13), als "Samenkorn" (Mt 13,32), als "Licht der Welt" (Mt 5,14) (vgl. J. Höffner, Selbstverständnis und Perspektiven des II. Vatikanischen Konzils, Köln 1965, 22f).

 

Aus den Bedürfnissen der Zeit heraus, aber auch im Hinblick auf die Urkirche wurde das Amt des Bischofs neu gesehen und neu gewertet. Das Prinzip der Subsidiarität, von dem in der Kirche viel die Rede ist, bedeutet doch, dass die Kirche kein zentralistischer Herrschaftsapparat ist, wo alles und jedes von einer Zentralstelle geregelt werden muss. Es bedeutet vielmehr, dass die kleineren Gemeinschaften all das durchführen sollen, wozu sie fähig sind und was ohne Gefährdung der Einheit von diesen kleineren Gemeinschaften geregelt werden kann. Vieles, bei dem früher die Bischöfe auf eine Anordnung oder eine Billigung aus Rom warten mussten, ist heute in ihre Hand gelegt. Das bedeutet nicht nur eine größere Freiheit, denn die größere Freiheit ist wie immer auch hier mit einer größeren Verantwortung verbunden. Eine solche Verantwortung darf die Bischöfe nicht in ihrer Entschlussfreudigkeit hemmen, sie soll sie im Gegenteil stärken.

 

Das katholische Volk kann jetzt die Bischöfe daran erinnern, dass es in vielen Dingen nun in ihrer Hand liegt, wenn etwas geschieht oder wenn etwas nicht geschieht. Der Grundsatz von der Subsidiarität wird aber nicht bei den Bischöfen stehenbleiben. Es wäre nichts erreicht, wenn nunmehr die Bischöfe in ihren Diözesen kleine Päpste sein wollten und die Ordinariate römische Kurie spielen würden. Auch zwischen Bischöfen und Priestern soll das subsidiäre Verhältnis Geltung erlangen, ebenso wie zwischen Pfarrern und Kaplänen, zwischen Priestern und Laien. Das soll, richtig verstanden, auch zu einer Entlastung des oft zu viel belasteten Bischofs führen. Auf einer anderen Ebene muss hingegen die notwendige Einheit betont werden, denn es kann sich nicht Diözese von Diözese abschließen. Die Subsidiarität kann nur im größeren Rahmen der Solidarität gesehen werden. Ausdruck einer neuen Solidarität der Kirche ist das Missionsschema. Das Missionsschema ist nicht Angelegenheit nur der römischen Propaganda, es soll Angelegenheit der ganzen Kirche, jeder Diözese, ja, auch jedes einzelnen Katholiken sein.

 

6. Neue Glaubwürdigkeit der Kirche


Das Konzil hat seinen formalen Abschluss gefunden. Seine Beschlüsse wurden verkündet und die Konzilsväter sind wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Das bedeutet aber nicht, dass das Konzil als geistiges Ereignis abgeschlossen wäre, jetzt erst beginnt es langsam zu wirken. Welche Auswirkungen, welche Fernwirkungen das Konzil schließlich einmal haben wird, das können wir heute noch nicht wissen. Aber eines kann jetzt schon gesagt werden. Durch das Konzil hat die Kirche Christi wieder neue Glaubwürdigkeit erhalten. Das ist wohl nicht so zu verstehen, als ob die Welt jetzt über kurz oder lang eine christliche Welt würde. Das Christentum wird wohl auch weiterhin gegenüber dem Anwachsen der Weltbevölkerung zurückbleiben. Die Welt und die Menschen werden auch weiterhin zum Teil die Religion und die Kirche ablehnen.

 

Wohl aber - dies möchte ich behaupten - ist die Welt bereit, auf die Kirche zu hören. Sie scheint mehr bereit zu sein, das, was die Kirche sagt, anzuhören und zur Kenntnis zu nehmen, wenn auch noch lange nicht anzunehmen. Die Konfrontation mit den geistigen Kräften der Welt hat die Kirche selbst wieder, auch für den Nichtchristen, auch für den Nichtgläubigen, zu einer geistigen Kraft in dieser Welt gemacht. Die Auseinandersetzung mit der Kirche wird wieder mehr unter dem Aspekt des großen geistigen Ringens mit den Mächten dieser Welt gesehen. Jene, die heute noch glauben, die Kirche mit administrativen Mitteln unterdrücken und verfolgen zu können, sind die wahren Reaktionäre. Aber sie spüren bereits, dass sie damit hinter der Zeit nachhinken, weil sie mit der Polizei den Geist nicht auslöschen können.

 

Eine geistige Auseinandersetzung wird die Kirche nicht scheuen. Eine solche Auseinandersetzung wird nicht von Diplomaten und nicht von Theologen allein geführt, hier ist das Feld der Laien, das heißt, der Laienchristen. Noch nie hat übrigens ein Konzil so ausführlich und so eingehend sich mit den Laien, den Christen in der Welt beschäftigt. Das Dokument über die Laien kann daher als die Magna Charta des Laienapostolats bezeichnet werden. Das Konzil hat viel über das Laienapostolat, das heißt über die Stellung des Laien in der Kirche gesprochen. Es wird noch viel zu tun sein, bis alle darin niedergelegten Möglichkeiten im Leben der Kirche zur Entfaltung und zur Auswirkung kommen.

 

Die neue Stellung der Kirche in der Welt kommt auch in einer neuen Funktion des Papsttums zum Ausdruck. Die Reisen des Heiligen Vaters ins Heilige Land, nach Indien und zu den Vereinten Nationen entsprechen den drei Gesprächskreisen der Kirche mit der Welt, entsprechen ungefähr auch den drei Sekretariaten. An den Heiligen Stätten Palästinas fand die ökumenische Begegnung statt. In Indien lernte der Papst die religiöse, nichtchristliche Welt kennen, die Reise zu den Vereinten Nationen brachte ihn schließlich in Verbindung mit den politischen Kräften dieser Welt, die zum Teil zumindest eine Welt ohne Glauben ist. Auch die jüngsten Friedensinitiativen des Papstes sind eine logische Folgerung der neuen Stellung und der neuen Glaubwürdigkeit der Kirche. Noch vor 20 oder 30 Jahren wäre eine solche Initiative undenkbar erschienen. Heute begleiten sie die Wünsche nahezu der gesamten Welt. Auch wenn diese Friedensmission nicht immer zum Ziele führen kann, wird sie doch nicht vergebens gewesen sein.

 

Die Kirche hat damit gezeigt, dass es ihr nicht um Prestige, um Einfluss oder Ansehen geht, sondern dass sie der Welt ihre Dienste anbieten will. Der Dienst der Kirche an der Welt soll auch Dienst des Friedens sein. Die Kirche ist heute kein Machtfaktor im üblichen Sinne, sie ist aber auch immer weniger die Kirche einer bestimmten Rasse. Das abendländische Kleid der Kirche, uns so vertraut und von vielen mit der Kirche selbst identifiziert, ist nur eines der Kleider der Kirche Christi. Wir brauchen es nicht zu verbannen, aber wir sollen wissen, dass die Kirche in jedem äußeren Kleide Kirche ist, dass sie zu allen Menschen gesandt wurde, sich den Mantel jeder Kultur um die Schulter zu legen, dass Gottes Antlitz durch die Farbe jeder Haut durchschimmern kann.

 

Der Versuch, eine Bilanz dieses Konzils zu ziehen, kann nicht abgeschlossen werden, ohne auch jene Strömungen zu erwähnen, welche die Ernte dieses Konzils, das neue Selbstverständnis und die neue Glaubwürdigkeit der Kirche gefährden könnten. Wer auf dem Wege ist, darf sich nicht von jenen beirren lassen, die den zweiten Schritt vor den ersten setzen wollen, auch nicht von jenen, die am liebsten einen Schritt vorwärts mit drei Schritten rückwärts ausgleichen wollten. Weder die Stürmer noch die Bremser dürfen den Weg der Kirche bestimmen. Beide können die neue Glaubwürdigkeit der Kirche gefährden. Auch der Dialog, das Gespräch darf nicht zu einer uferlosen, grenzenlosen Diskussion werden, in der alles und jedes in Frage gestellt wird. Ebenso gefährlich scheinen mir nicht zuletzt jene zu sein, die überhaupt nichts wollen. Sie sagen einfach: Gott sei Dank, das Konzil ist vorüber. Wir tun so, als wäre nichts gewesen. Das gilt von jenen, die eine rein äußerliche Reform, die ihren Sinn nur im großen Zusammenhang erhält, wie z. B. die Liturgiereform, zum einzigen Ergebnis des Konzils machen. Sie wollen die geistige Erneuerung, die das Konzil von uns allen verlangt, mit einer Art liturgischen Beschäftigungstherapie ersetzen.

 

Auf die Bedeutung der nachkonziliaren Phase für die fruchtbare Auswirkung der II. Vatikanischen Kirchenversammlung hat Paul VI. selber hingewiesen, wenn er in der Mittwochaudienz vom 29. Dezember v. J. die Wichtigkeit hervorgehoben hat, dass sich im kirchlichen Bereich die Überzeugung festige, das Konzil sei immer noch am Werk, ja es wirke sich erst nach seinem Abschluss aus. Zu allererst, so erklärte der Heilige Vater, hatte das Konzil auf die Vertiefung des Glaubenseifers abgezielt. "Es wollte dem Volke Gottes Wiederwachen, Bewusstsein, guten Willen, Hingabe, Eifer, neue Vorsätze, neue Hoffnungen, neue Aktivitäten, geistliche Energien und Glut vermitteln. Dass die Kirche - mehr noch als ein Bedürfnis - den Wunsch hat, den charakteristischen Eifer wieder zu finden, das zeigen einerseits die vielen verschiedenen Phänomene ihres zeitgenössischen Lebens und andererseits der Verfall vieler Formen des Christentums, die von den profanen heidnischen und verneinenden Strömungen des modernen Lebens durchdrungen und verdorben sind.

 

Ein Wunsch nach Glaubwürdigkeit, nach Großmut, nach Vollkommenheit, nach Heiligkeit durchdringt das ganze Gefüge des Volkes Gottes und erweckt in ihm das Bewusstsein seiner Berufung, belebt die Verteidigungsbereitschaft gegenüber dem Eindringen des Zeitgeistes und lässt apostolischen Mut, die Welt mit dem heilbringenden Sauerteig des Evangeliums zu durchdringen, wieder erstehen." Die Kirche der nachkonziliaren Zeit befindet sich in dem Zustand des Eifers, wenn sie dem Genius des Konzils folgt.

 

Es kommt also darauf an, was wir selber nach dem Konzil tun, das heißt nicht nur darauf, was in Rom nach dem Konzil geschieht. Die nachkonziliare Arbeit ist auf der Weltebene auf verschiedene Kommissionen verteilt. So ist eine postkonziliare Liturgiekommission mit der Ausführung der Konzilsbeschlüsse zur Liturgiereform beschäftigt. Der Heilige Vater selber hat eine Reform und Erneuerung an der römischen Kurie angekündigt. Die Bischofssynode als Ausdruck der Kollegialität der Bischöfe wird in ihre Aufgabe hineinwachsen müssen. Ihre Stellung und Wirksamkeit wird nicht nur von den Richtlinien des Papstes, sondern auch vom Willen und der Tatkraft der Bischöfe abhängen. Auf der diözesanen Ebene werden die Diözesansynoden Beschlüsse und Ziele des Konzils in Raum und Zeit ihrer Umwelt umzusetzen haben.

 

All das aber, was in Rom und in der Heimat im Anschluss an das Konzil an rechtlichen und institutionellen Beschlüssen, Reformen und Änderungen geschieht, wäre letztlich nutzlos, wenn nicht der Geist des Konzils, der neue Geist einer erneuerten Kirche, einer brüderlichen Kirche, einer Kirche, die sich den Werken der Liebe und des Friedens widmet, Einzug halten würde in die Herzen eines jeden einzelnen Christen.

 

Wenn am 7. Dezember die historische Reichweite eines Konzils vor aller Augen in Erscheinung trat, als der Bischof von Rom, das Oberhaupt der katholischen Kirche, mit dem Vertreter des Patriarchen von Konstantinopel den Friedensgruß tauschte, so sind es die heilsamen Entschlüsse des menschlichen Herzens, der Erneuerungswille eines jeden einzelnen Katholiken und Christen, um das konziliare Wort in die konziliare Tat der christlichen Erneuerung zu wandeln. Dazu braucht es den heilsamen Entschluss, an den das Herrenwort appelliert: "Wenn das Samenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viele Frucht."

 

Dass dieses letzte, entscheidende Konzilsergebnis auch für die Wiener Erzdiözese von unseren Nachfahren registriert werden kann, das ist meine Hoffnung als Konzilsvater und Erzbischof von Wien.

 

Termine
Derzeit finden keine Termine statt.
Diözesanseiten
image Eisenstadt Graz-Seckau Wien St. Pölten Linz Gurk-Klagenfurt Salzburg Feldkirch Innsbruck
Medienreferat der Österreichischen
Bischofskonferenz

Stephansplatz 4/6/1

A-1010 Wien
http://www.jahrdesglaubens.at/