"Gaudium et spes" (Artikel 54-55)
Aus der Konstitution "Gaudium et spes. Über die Kirche in der Welt von heute"
Erster Abschnitt: Die Situation der Kultur in der Welt von heute
54. Neue Lebensformen
Die Lebensbedingungen des modernen Menschen sind in gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht zutiefst verändert, so daß man von einer neuen Epoche der Menschheitsgeschichte sprechen darf. Somit öffnen sich neue Wege zur Entwicklung und weiteren Ausbreitung der Kultur durch das unerhörte Wachstum der Natur- und Geisteswissenschaften, auch der Gesellschaftswissenschaften, die Ausweitung der Technik sowie den Fortschritt im Ausbau und in der guten Organisation der Kommunikationsmittel.
Dementsprechend ist die heutige Kultur durch besondere Merkmale gekennzeichnet: die sogenannten exakten Wissenschaften bilden das kritische Urteilsvermögen besonders stark aus; die neueren Forschungen der Psychologie bieten eine tiefere Erklärung des menschlichen Tuns; die historischen Fächer tragen sehr dazu bei, die Dinge unter dem Gesichtspunkt ihrer Wandelbarkeit und Entwicklung zu sehen; der Lebensstil und die ethische Haltung werden immer einheitlicher; Industrialisierung, Verstädterung und andere Ursachen, die die Vergemeinschaftung des Lebens vorantreiben, schaffen neue Kulturformen (Massenkultur), aus denen ein neues Lebensgefühl, neue Weisen des Handelns und der Freizeitgestaltung erwachsen; zugleich macht der Austausch zwischen verschiedenen Völkern und gesellschaftlichen Gruppen die Schätze verschiedener Kulturformen der Masse und den Einzelnen immer mehr zugänglich. So bildet sich allmählich eine universalere Form der menschlichen Kultur, die die Einheit der Menschheit um so mehr fördert und zum Ausdruck bringt, je besser sie die Besonderheiten der verschiedenen Kulturen achtet.
55. Der Mensch als Schöpfer der Kultur
Immer größer wird die Zahl der Männer und Frauen jeder geselIschaftlichen Gruppe und Nation, die sich dessen bewußt sind, selbst Gestalter und Schöpfer der Kultur ihrer Gemeinschaft zu sein. Immer mehr wächst in der ganzen Welt der Sinn für Autonomie und zugleich für Verantwortlichkeit, was ohne Zweifel für die geistige und sittliche Reifung der Menschheit von größter Bedeutung ist. Diese tritt noch deutlicher in Erscheinung, wenn wir uns die Einswerdung der Welt und die uns auferlegte Aufgabe vor Augen stellen, eine bessere Welt in Wahrheit und Gerechtigkeit aufzubauen. So sind wir Zeugen der Geburt eines neuen Humanismus, in dem der Mensch sich vor allem von der Verantwortung für seine Brüder und die Geschichte her versteht.
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